Eröffnung eines Derby-Verfahrens erstmalig abgelehnt

Bild: @Stadiontouristen

In einer bemerkenswerten Entscheidung hat das Amtsgericht Leipzig erstmals die Eröffnung eines Verfahrens im Zusammenhang mit dem Derby vom 7. Mai 2022 abgelehnt. Die Richterin begründete diesen Schritt mit der unzureichenden Identifizierbarkeit des Angeklagten, der beschuldigt wurde, während des Spiels mehrere Gegenstände auf Polizeibeamte geworfen zu haben.

Die Staatsanwaltschaft stützte ihre Anklage hauptsächlich auf Videoaufnahmen, auf denen der mutmaßliche Täter durch ein schwarzes Oberteil und eine graue Hose identifiziert werden sollte. Da das Gesicht der Person jedoch vollständig vermummt war und keine individuellen Merkmale wie Augenform oder Haarfarbe erkennbar waren, erkannte das Gericht die Beweislage als unzureichend an. Es wurde festgestellt, dass die beschriebenen Kleidungsmerkmale auf eine Vielzahl von Personen zutreffen könnten, weshalb eine eindeutige Identifizierung nicht möglich sei. Infolgedessen lehnte das Gericht die Eröffnung des Verfahrens gemäß § 204 StPO ab.

Bereits im September 2022 war die Wohnung des Beschuldigten, Michael (Name geändert), in seiner Abwesenheit durchsucht worden. Angesichts der aktuellen Entscheidung steht ihm nun eine Entschädigung für den entstandenen Schaden an Eingangstür und Interieur zu. Antonia Sturma, Michaels Rechtsanwältin, wertet die sorgfältige Prüfung der Beweislage durch das Gericht als bedeutenden Erfolg. Sie hofft, dass dieses Urteil Signalwirkung für weitere anhängige Verfahren im Zusammenhang mit dem Derby haben wird.

Diese Entwicklung könnte darauf hindeuten, dass die Gerichte künftig eine kritischere Haltung gegenüber den Ermittlungsansätzen der Staatsanwaltschaft einnehmen und die vorgelegten Beweise genauer prüfen. Für die betroffenen Fans und ihre Unterstützer ist dies ein ermutigendes Zeichen für eine gerechtere Rechtsprechung in solchen Fällen.

Nachfolgend dokumentieren wir die Mitteilung des Rechtshilfekollektivs Chemie Leipzig:

Bisher hatte das Leipziger Amtsgericht nicht wirklich den Ruf, sich besonders genau und kritisch mit den Kontexten rund ums Derby vom 7. Mai 2022 und den damit verbundenen Ermittlungsansatzen- und Methoden auseinanderzusetzen. In den meisten Fällen folgte das Gericht den einseitigen Ausführungen von Soko und Staatsanwaltschaft. Insbesondere bei den Identifizierungen der Angeklagten gaben einige Richter:innen kein besonders neutrales Bild ab. Im Gegenteil, in der Regel herrschte eine gewisse Voreingenommenheit, was die Würdigung der vorgebrachten Beweise angeht.

Nun wurde erstmalig von einer Richterin bereits die Verfahrenseröffnung abgelehnt, weil die angeklagte Person nicht eindeutig zu identifizieren war. Chemiefan Michael (Name geändert) soll beim Derby 2022 mehrere Gegenstände auf Polizeibeamte geworfen haben. Im Rahmen der Ermittlungen meinte die Staatsanwaltschaft ihn eindeutig anhand seiner Kleidung – einem schwarzen Oberteil und einer grauen Hose – identifiziert zu haben. Dies reichte dem Gericht dieses Mal nicht aus: zumal die vermeintliche Person auf den Videoaufnahmen der Polizei im Gesicht komplett vermummt war – individuelle Merkmale wie Augenform oder Haarfarbe also nicht verfügbar waren.

Die Merkmale der Kleidung treffen laut Gericht auf eine Vielzahl von Personen zu. Weil eine Verurteilung aufgrund der dünnen Beweislage unwahrscheinlich ist, musste die Eröffnung des Verfahrens nach § 204 StPO abgelehnt werden, führte das Gericht in seinem Beschluss nebst weiterer detaillierter Begründung aus.

Im September 2022 wurde aufgrund der Ermittlungen bereits die Wohnung von Michael in seiner Abwesenheit durchsucht.

Für den entstandenen Schaden an Eingangstür und Interieur ist er damit ebenso zu entschädigen. Für Michaels Rechtsanwältin Antonia Sturma ist die dezidierte Auseinandersetzung mit der dünnen Beweisdecke der Staatsanwaltschaft und die Infragestellung aneinander-kopierter wackliger Video-Screenshots ein unverhoffter, großer Erfolg. Vielleicht zeugt der Beschluss auch davon, dass sich Gerichte jetzt endlich genauer mit der oftmals problematischen Argumentation der Staatsanwaltschaft beschäftigen. Wir freuen uns für und mit Michael und erhoffen uns vom Beschluss des Amtsgerichts eine Strahlkraft für weitere noch anhängige Verhandlungen.